Bin ich Deutscher oder Türke? Das ist die Frage, die sich nicht nur der 6-jährige Cenk (Rafael Koussouris) an seinem ersten Schultag stellt, als er beim Fußballspiel auf dem Schulhof weder von den türkischen noch den deutschen Mitschülern in die Mannschaft gewählt wird. Auch seine 25-jährige Cousine Canan (Aylin Tezel) steht zwischen diesen beiden Welten und weiß nicht, wie sie ihrer Familie erklären soll, dass sie mit ihrem englischen Freund ein Kind erwartet.
Für Canans Großvater Hüseyin (Vedat Erincin), der vor 45 Jahren nach »Almanya« kam, ist Deutschland jetzt längst zur Heimat der Familie geworden. Eines Abends beim Familientreffen überrumpelt er seine Lieben mit der überraschenden Nachricht, er hätte in der Türkei ein Haus gekauft und wolle nun mit allen Familienmitgliedern in seine alte Heimat reisen. Widerspruch duldet er nicht.
Einige Tage später bricht die ganze Familie wohl oder übel in Richtung Türkei auf. Erinnerungen an die Zeit des Aufbruchs aus der alten Heimat werden lebendig und Cenk erfährt, wie sein Großvater in den 1960er Jahren als einer der ersten Gastarbeiter nach Deutschland kam, wenige Jahre später seine Frau Fatma und die drei Kinder zu sich holte und wie die Familie Deutschland als fremdes und faszinierendes Land erlebte.
Doch dann nimmt die Reise eine unerwartete Wendung – und alle Familienmitglieder müssen sich die Frage nach ihrer Identität stellen.
Neben der hochkarätigen Besetzung steht Yasemin Samdereli auch ein starkes Team zur Seite: an der Kamera The Chau Ngo (»Phantomschmerz«, »66/67«, »Max Minsky und Ich«); Szenenbild Alexander Manasse (»Lola rennt«, »Suck My Dick«, »Tuvalu«); Kostüme Steffi Bruhn (»Dinosaurier«, »Sturm«, »Robert Zimmermann wundert sich ...«, »Wer früher stirbt ist länger tot«).
Regie führt Yasemin Samdereli, die 1973 in Dortmund geboren wurde und an der HFF München studierte. Zusammen mit ihrer Schwester Nesrin hat sie mit »Almanya« ein sehr persönliches Drehbuch verfasst, das sie nun als ihren ersten Kinofilm umsetzen konnte.
(Concorde Filmverleih)
Hüseyin Yilmaz kommt in den 60er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland. Kurze Zeit danach holt er seine Frau und drei Kinder zu sich und baut ihnen ein Zuhause in der »neuen« Heimat. Zwei Generationen später hat er nur einen Wunsch: Er will zurück nach Anatolien und kauft dort kurzerhand ein Haus. Und da die Familie nun einmal das wichtigste ist, begeben sie sich alle zusammen auf eine Reise in die Türkei und in ihre Vergangenheit.
Die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, bekannt mit »Türkisch für Anfänger«, erzählen die Migrations-Komödie »Almanya – Willkommen in Deutschland« leicht und augenzwinkernd. Dabei gelingt es ihnen, auf jede Figur einen liebevollen Blick zu werfen und so eine wirkliche Einheit der teils recht unterschiedlichen Familienangehörigen zu schaffen. Angereichert mit fantasievollen fast schon surrealen kleinen Ideen werden die Tugenden orientalischer Kultur zur Geltung gebracht.
Changierend zwischen heiteren und melancholischen Momenten entwickelt der Film eine berührende Tiefe. Die opulente Musik unterstützt die wunderbare multikulturelle Atmosphäre des Films. Passend ausgewählte Archivaufnahmen binden die Fiktion in die Realität ein und kehren die Problematik von Ressentiments amüsant um. Deutsch-türkische Geschichte: humorvoll, unterhaltsam und mit bewegendem Tiefgang.
Prädikat: »Besonders wertvoll«. FBW-Jurybegründung:
Die durchaus als Empfehlung gemeinte Formel für den Filmmarkt, »Almanya – Willkommen in Deutschland« sei eine Multikulti-Komödie, hatte im Vorfeld eher Befürchtungen genährt, es handele sich um ein adrettes, politisch-korrektes Opus mit dem Gutmenschen-Gen (und dem Resultat: Viele loben es, aber keiner geht hin!). Doch es gibt auch im deutschen Film noch Überraschungen.
Der Film der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli ist vor allem und dazu noch ein famoses Leinwandvergnügen, auch ohne die politisch-moralische Ernsthaftigkeit außen vor zu lassen (»Immigration ist einfach ein spannendes Thema«, so ein Statement der Autorinnen). Und so erzählen sie auf höchst subjektive Weise, wer man eigentlich ist, was es heißt, fremd zu sein und wie alles begann mit »Almanya – Willkommen in Deutschland«.
Das Ergebnis: eine kultur- und generationenübergreifende Familiensaga. Ein Film, der einfach sagt: »Wir sind hier und das ist gut so!« Oder nach dem im Film formulierten Leitmotiv: »Wir sind die Summe von all dem, was vor uns geschah.«
Die Schwestern Samdereli, nach filmischen Einflüssen und Vorbildern befragt, nennen u.a. Chaplin und Lubitsch, Billy Wilder und Woody Allen, aber auch Luis Buñuel. Dies ist wahrlich kein Kokettieren oder bloße Gaukelei, denn spurenweise sind Einflüsse dieser Stilikonen in »Almanya – Willkommen in Deutschland« durchaus erkennbar. Erinnert sei z.B. nur an den brillanten Einfall, Gags mit einer fiktiven deutschen Kunstsprache zu entwickeln. Aber wesentlicher ist wohl, wie es gelang, erzählerische Vorbilder zu einer ganz eigenen Erzählhaltung zu verweben.
Denken wir an die schönen Wechsel in der Erzählperspektive, an das lustvolle Spielen mit Ressentiments, um sie in ihrer Absurdität auszustellen. Denken wir an das schelmische Augenzwinkern, aber auch an die surrealen Visionen. Der Film wäre auch als modernes Märchen zu beschreiben, ein Märchen aus einer sprudelnden Quelle von Geschichten, Anekdoten und Aphorismen. Ein Füllhorn, wo die Grenzen zwischen Orient und Okzident verfließen.
»Almanya – Willkommen in Deutschland« ist Lachen gegen Stigmatisierung! Am Ende lesen wir das Max-Frisch-Zitat: »Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen.«
(FBW – Deutsche Film- und Medienbewertung, Wiesbaden)
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